Gay myrtle beach zürich
Wir betreten einen ruhigen Raum, der Boden ist hellrosa gestrichen, an den Wänden reiht sich ein Bildschirm an den anderen. Vor einem bleiben wir stehen, setzen die Kopfhörer auf, tauchen ein. Die Videoarbeiten, die aktuell im Zürcher Kunstraum Last Tango zu sehen sind, führen uns die Vielfalt jener Identitäten und Lebensrealitäten vor Augen, die in einer patriarchal geprägten, heteronormativen Gesellschaft als «queer» gelten: als schräg, als nicht der Norm entsprechend.
Damit sind etwa Personen gemeint, die nicht heterosexuell sind, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Die Ausstellung «Camp Fires» gibt einen vielstimmigen Einblick in diese Lebensrealitäten, er ist leicht und spielerisch, zugleich politisch.
Noch heute gilt die eigene Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung nicht als unerheblich oder privat, sondern als öffentliches Anliegen, das debattiert wird — wie zuletzt im Vorfeld der Abstimmung über die Ehe für alle. Dieser politische Charakter wird im «Last Tango» deutlich, wenn die Diskriminierungserfahrungen queerer Menschen thematisiert werden, die nicht selten mit psychischer oder physischer Gewalt einhergehen.
Mit voller Wucht tritt dies etwa in «American Reflexxx» zutage, einer dokumentarisch angelegten Videoarbeit von Alli Coates. Darin schreitet die Performerin Signe Pierce in einem hautengen Kleid und neongelben Pumps durch das Vergnügungsviertel von Myrtle Beach in South Carolina.
Sie trägt eine nach aussen verspiegelte Maske, die von ihrem platinblonden Haar umrahmt wird. Signe Pierce verkörpert in diesem Video den Inbegriff der hypersexualisierten Frau: Sie ist blond und sexy, läuft stumm durch die Strassen, gelegentlich bleibt sie stehen, um lasziv zu posieren.
In der Folge treten in «American Reflexxx» die Reaktionen der Passant:innen in den Fokus, die sich von der Performerin spürbar provoziert fühlen. Nicht wissend, dass es sich dabei um eine künstlerische Inszenierung handelt, die gerade aufgezeichnet wird, beginnen sie, unverblümt ihre Irritation zu äussern, kommentieren den Körper von Signe Pierce oder stellen infrage, ob sie tatsächlich eine Frau sei: Sind die Schultern nicht etwas zu breit, ist der Gang nicht etwas zu männlich?
Das maskierte Gesicht der Performerin, ihre ungewisse Identität, rufen Wut und gar physische Gewalt hervor: Signe Pierce wird beleidigt, beschimpft und zu Boden geschubst. Frauen- und Transfeindlichkeit gehen in diesem verstörenden Szenario ineinander über. Das Video wurde bereits auf Youtube geteilt und seitdem über 1,7 Millionen Mal aufgerufen.
Alli Coates und Signe Pierce knüpfen damit an die Strategien des Netzwerkfeminismus an: Als Aktivist:innen nutzen sie die sozialen Netzwerke, um Ungerechtigkeiten und Diskriminierung sichtbar zu machen. Entsprechend kann «American Reflexxx» als Aufruf gegen sexualisierte Gewalt verstanden werden.
Dass einige Passant:innen ihrerseits das Ereignis mit ihren Smartphones aufnahmen, rückt aber auch die Kehrseite viraler Inhalte in den Blick: Wie Gewalt zum Spektakel wird, das aus sicherer Distanz betrachtet und aufgezeichnet werden kann. Gleichzeitig sind die sozialen Netzwerke auch jene Orte, in denen stereotype Schönheitsideale verbreitet und die Grenzen zwischen Fremd- und Selbstzuschreibung verwischt werden.
Eine explizit politische Botschaft hat auch die Videoarbeit von Ivy Monteiro. In «Guaca Polla and the Suitcase Sisters in Pride Issa Riot» tanzen die Performer:innen durch eine verlassene Fabrik, an deren Wänden in grossen Lettern «Black Queer Lives Matter» oder «Pride is a Riot» geschrieben steht.
Mit diesen Bewegungsparolen ruft Ivy Monteiro in Erinnerung, dass es sich bei Black Lives Matter und bei der Gay Pride auch um kapitalismuskritische Widerstandskämpfe handelt. Heute gibt es aber auch Pinkwashing: Davon spricht man, wenn Grosskonzerne und andere Organisationen sich lediglich aus werbetechnischen Überlegungen mit der queeren, antirassistischen oder feministischen Bewegung solidarisch zeigen.
Von der kapitalistischen Logik vereinnahmt, verkümmern diese Bewegungen zu blossen Trends und Marketingstrategien.
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Dass es sich bei «Camp Fires» um ein vielstimmiges Narrativ handelt, wird aber nicht nur anhand der künstlerischen Arbeiten deutlich, sondern auch im dezentralen Ausstellungskonzept. So sind einige der achtzehn Videoarbeiten auch im Zürcher Tanzhaus zu sehen — und in der Shedhalle auf dem Areal der Roten Fabrik.
Dort sind sie Teil der Ausstellung «Extra Worlding», die sich der Frage widmet, wie Künstler:innen die eigene Lebensrealität in ihrer Praxis verarbeiten und welche Welten daraus entstehen. Darin schlüpft Sin Wai Kin in die Rolle von vier Mitgliedern einer fiktiven Boyband und stellt stereotype Vorstellungen von Männlichkeit infrage: Die Idee, dass ein Mann stark und muskulös zu sein hat, parodiert Sin Wai Kin mit einem Kostüm, das einem durchtrainierten Bauch ähnelt.
So zeigt sich, wie sehr Geschlecht eine von gesellschaftlichen Normen geprägte Performance ist — ein Thema, dem sich etwa die Sozialwissenschaftlerin Gudrun-Axeli Knapp widmete. Diese hat Geschlecht schon in den er Jahren als soziale Kategorie mit «Platzhalterfunktion» definiert: Menschen werden aufgrund ihres vermeintlichen Geschlechts gewisse Eigenschaften und Plätze in der Gesellschaft zugewiesen.